Erbärmlich Geschlecht
Es soll mit der Zeit die Schule gehn,
mit ihr, der vorwärts winkenden,
am Born des Lichtes trinkenden.
Sie soll der Zeit die Spule drehn,
der werdenden, nicht der sinkenden.
Ein Saatfeld soll sie, breit gepflegt,
für dieser Tage Samen sein,
solls in der Zukunft Namen sein.
Und dass sie zu Bürgern der Zeit uns prägt,
das soll ihr tägliches Amen! sein.
Ihr aber, Kathederzöpfe dumpf,
ihn ganz in Scholastik Verlorenen
und drum von den Schwarzen Erkorenen,
ihr macht die schärfsten Köpfe stumpf,
die zu was Besserm geborenen.
Die Bibel ist wohl ein gutes Buch,
doch wie sie noch immer zünftig ist —
wir wollen nicht, dass sies künftig ist!
Es zieht uns mächtig des Blutes Zug:
zu glauben, was vernünftig ist.
Zuviel ist in Griechisch, Latein geschehn;
gebt uns statt Totem Lebendiges,
gebt uns Modernes, Verständiges,
und wollt euch endlich eingestehn:
im Leben regiert Notwendiges!
Drum tut vor allem die Pfaffen ab
im Lehramt hoch und niederig,
die Paffen glatt und widerig!
Tut ab, tut die Schlaraffen ab,
die Spinnen tausendgliederig!
Ihr seid fürwahr ein erbärmlich Geschlecht,
ihr ewig lateinisch Leimenden,
ihr credo mit cedo1 Reimenden!
Ihr knetet die Geister ärmlich zurecht
und mordet den Geist, den keimenden.
Der Same, den ihr in die Massen streut,
erzieht uns den kriechenden Kämmerling,
den ganz verkirchlichten Dämmerling.
Schon reichen sich auf den Gassen heut
die Hände nur Schwächling und Jämmerling.
Und meint ihr, es solle so weiter gehn?
Uns lebt ein freiheitsforderndes,
ein heißes Jahrhundert, ein loderndes.
In Flammen wird bald die Scheiter stehn,
die Faules verzehrt und Moderndes.
Nicht steht, was geistig, hienieden still,
und jocht ihrs mit Priestern und Gnädigen,
so wird es die Faust erledigen.
Und dies soll, wer da Frieden will,
auf allen Märkten predigen.
Ernst Ziel (1841 - 1921)
Erläuterungen:
credo (lateinisch): ich glaube, cedo (lateinisch): ich weiche
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